Ein Streuner ist kein Labrador
Hallo, ich bin die Tessy und ich hatte nicht nur das große Glück, dass ich nicht einfach “entsorgt” wurde, ich gehörte zu den wenigen meiner vielen rumänischen Hundefreunde, die man nicht grob und viel zu früh von der Mama trennte. Die Zigeuner, bei denen meine Mama lebte, hatten auch von ihr genug und brachten meine Mama, mich und meine Geschwister und noch eine andere Hundemama mit zwei Babys zu Michael, der uns liebevoll aufnahm und so konnten wir Weihnachten 2007 sorglos entgegen sehen. Wir wuchsen und gediehen und da wir alle wirklich allerliebste Hundekinder waren, dauerte es nicht lange und wir waren “vermittelt”, wie uns der Michael sagte.
Wir wussten nicht, was das bedeutete, aber es musste etwas Schönes sein, denn Michael erzählte uns, wir hätten Glück, wir hätten nun bald eine eigene Familie. Der Weg zu dieser Familie war weit, doch nach vielen Stunden gingen endlich die Türen auf, wir durften raus und ein Zweibeiner, der nicht Michael war, stellte uns herrlich duftende Schüsseln hin und wir durften fressen und fressen, bis wir kugelrunde Bäuchlein hatten. War das nun Familie, dieser Zweibeiner, der mit hoher Stimme mit uns sprach und mit so einem komischen kleinen Kasten, aus dem es immer wieder blitzte vor uns lag, dann wieder hüpfte und immer wieder quietschte? Egal, wir waren satt und müde und da standen weiche kuschelige Körbchen, also Familie war ganz gut.
Von wieder anderen Stimmen wachten mein Bruder und ich auf. “Ach sind die süß, so putzig” und schon wurde ich hoch gehoben und ganz fest gedrückt. “So, dass ist nun Deine Mama”, sagte der Zweibeiner mit der hohen Stimme. Familie, Mama, es wurde immer rätselhafter, aber egal, alle waren nett, streichelten meinen Bruder und mich und dann hieß es, jetzt fahren wir nach Hause.
Alles war anders. Nach einigen Tagen ging dann mein Bruder in seine eigene Familie und ich war allein. Alles war neu, Stimmen und Geräusche, die ich noch nie gehört hatte, immer wieder andere Zweibeiner, die mich streichelten und süß fanden und ab und zu hörte ich, ich wäre wie ein kleiner Labrador. Schlimm wurde es, wenn man in kurzen Abständen zum Pippi machen mit mir raus ging. Donnernde Maschinen brausten vorbei, Gehupe, Lärm, es war ganz furchtbar und dann sollte ich noch Pippi machen – ich hatte nur noch Angst. Wo war Michael? Wo waren meine Hundekumpels?
Ich hörte immer wieder, wie meine Mama sagte, wie lieb sie mich doch hatte und sie würde mich nie im Stich lassen. Ich hörte auch, wie sie sich aufregte, wenn andere Zweibeiner genau dies taten, nämlich Kumpels von mir einfach nicht mehr haben wollten. Mama sagte was von Hundetrainer, Hundeschule, erzählte auch immer wieder, wie ich Fortschritte machte. Aber plötzlich hörte ich, wie sie erzählte, ich wäre hier am falschen Platz, ich hätte keine Bindung zu ihnen und ich müsse fort. Aber sie hatte doch so oft erzählt, sie hätte mich so lieb und würde zu mir halten. Warum war das alles vergessen? Nur weil ich mich vor vielen Dingen fürchtete? Weil ich manchmal knurrte, wenn man mich zu sehr bedrängte und ich Angst hatte? Sie sagte doch, es wäre bereits viel besser.
Es konnte nicht schnell genug gehen, auf eine Pflegestelle sollte ich und das am besten sofort, schließlich hatten sich Mama und Papa entschlossen, dass ich weg sollte und das musste einfach jeder verstehen, schließlich sind sie nicht irgendwer.
Ich wurde abgeholt, mir war schon alles egal, Familie ist nicht schön, nur eine Enttäuschung, ich wollte wieder zu meinen Hundekumpels.
Bei der Familie, die eigentlich meine war, zog bereits wenige Tage nach dem ich weg war ein kleiner Labrador ein. Viel Glück, kleiner Kumpel, vielleicht erfüllst Du die Ansprüche, die ich nicht erfüllen konnte. Ich bin nun mal kein Labrador……….
Dann kam ich bei meiner Pflegefamilie an. Vielleicht war eine Pflegefamilie besser, als eine richtige Familie? Tief durchatmen, hier waren schon mal Hundekumpels, Gott sei Dank.
Meine Welt war wieder in Ordnung. Ich durfte rennen, spielen, toben und niemand störte sich daran, wenn wir laut bellend durch Haus und Garten rannten. Bei Menschen war ich sehr vorsichtig. Denen zeigte ich gleich einmal durch bellen und knurren, dass sie mir nicht zu nahe kommen sollten. Mama Susi sagte aber allen, dass sie mich einfach in Ruhe lassen sollten und darüber war ich sehr froh. Wenn mich die Zweibeiner interessierten, kam ich schnuppern, aber Finger weg von mir! Es störte sich auch niemand daran, wenn ich mich zurück zog und meine Ruhe haben wollte. Also ehrlich Leute, Pflegefamilie ist besser als Familie und Pflegemama Susi fand ich schon nach wenigen Tagen prima. Die sagte nie, sie würde alles für mich tun, sie tat es einfach.
Sie sagte auch nie, sie würde mich nie im Stich lassen, ich spürte, dass sie das nie tun würde. Meine Susi sagte überhaupt nicht so viel, sie nahm mich einfach wie ich war und das war sicher nicht immer einfach. Sie freute sich über meine Fortschritte und wenn ich eben chaotisch war seufzte sie nur, “ach der “Kessel” schon wieder….”. Es tat mir ja selbst leid, dass ich ihr manchmal das Leben so schwer machte, eigentlich war das gar nicht meine Absicht, aber es ist alles nicht so einfach. Immer wieder hörte ich, dass eine Familie für mich gesucht wird, wo alles passt.
Was soll das, ich brauche keine Familie. Mir reicht meine Pflegefamilie, meine Susi, meine drei Hundekumpels, die zwei Katzen, die ich so schön ärgern konnte, die trällernden Federbälle im Käfig am Fenster, mein Live-Kino vor dem mit Wasser gefüllten Glaskasten, auch der Noah war in Ordnung, endlich mal ein Kind, das ich leiden konnte. Lasst mich in Ruhe mit Familie, ich will keine mehr!
Eines Tages sagte meine Susi. “So, mein “Kessel”, nun bist Du kein Pflegehund mehr. Du bleibst für immer bei uns.” “Klar, Susi, was anderes wollte ich doch noch nie. Gut, dass Du das jetzt kapiert hast. Ich wäre sowieso nirgends anders hin gegangen, ist schon richtig so”.
Das Leben mit mir ist noch immer nicht einfach, sagt meine Susi. Nun ja, wenn mir von der Ferne ein Kumpel etwas zubellt, gebe ich natürlich Antwort. Sind wir im Auto unterwegs, sage ich jedem lautstark, dass das unser Auto ist und er es nur nicht wagen soll, näher ran zu kommen.
Außerdem habe ich auch nicht immer Lust hinten im Kofferraum zu bleiben. Da ich eine super Figur habe, komme ich bequem zwischen den Gitterstäben durch – “hi, Susi, hier bin ich. Ooch, sei doch nicht wieder sauer”.
Meine drei Kumpels und ich sind auch sehr hilfsbereit und helfen unserer Mama im Garten. Wir graben Löcher in allen Größen – “Susi, welches hättest Du gerne? Sind alle für Dich!”
Egal, was wir anstellen, ob Freundin Maddie wieder über den Zaun geht oder auf die Jagd, ob Isabella zickig oder Paul übellaunig ist oder ob ich beim Gassi gehen bei jeder Hundebegegnung einen auf Großmaul mache, ich habe keine Angst mehr, dass “die Bindung nicht stimmt”, “es nicht mehr geht”, meine Susi mich nicht mehr haben will, die liebt uns alle, egal was kommt. Auch, wenn sie manchmal mit einem resignierten Seufzer sagt, nie mehr vier Hunde…….., dabei ist sie doch froh, dass sie uns hat!
Wenn ich dann nach einem ereignisreichen Tag friedlich bei ihr im Bett einschlummere denke ich manchmal, zum Glück bin ich kein Labrador………., sonst wäre ich jetzt nicht hier!
Einen feuchter Schlabber für meine Susi!
Deine Tessy, die ihre Familie schwer in Ordnung findet 🙂