Wenn nur die dumme Angst nicht wäre!
Bukarest, die Hölle für Straßenhunde, genau da erblickte ich das Licht der Welt. Erinnerungen an meine Mama habe ich nicht mehr, genauso wenig weiß ich, was in den ersten Wochen meines Lebens alles passiert ist. Ich weiß nur eines, meine ersten Wochen waren geprägt von Angst und bei allem was zwei Beine hatte, hieß es, sich schnellstens in Sicherheit zu bringen. Zweibeiner waren es schließlich, die mich und meine Geschwister einfingen, meine Angst steigerte sich zur Panik. Dass es dazu keinen Grund gab, wusste ich nicht.Wir waren Tierschützern in die Hände geraten und dass von denen keine Gefahr drohte, war für uns unvorstellbar. Plötzlich klangen die Stimmen nicht mehr bedrohlich, auch die Menschen schienen sehr freundlich und trachteten uns nicht nach dem Leben. Aber konnten wir ihnen trauen? Meine Geschwister und ich fanden uns in einem großen Gehege wieder, da gab es Hütten, Schüsseln mit sauberem Wasser und Futter, wir konnten es kaum fassen. Zum ersten Mal in unserem Leben waren wir satt! Und ich hatte plötzlich einen Namen – ONANGA.
Einige meiner Geschwister stellten sich sehr schnell auf die neue Situation ein und freuten sich sogar, wenn sie die Menschen sahen, die immer Futter und Wasser brachten, sich zu uns ins Gehege setzten, freundlich mit uns sprachen und versuchten uns anzufassen und zu streicheln. Für mich war das doch zu viel Nähe, ein vorsichtiges Schnuppern, eine Hand an meinem Körper und schnell ein Satz rückwärts, man weiß ja nie.Eines Tages, ich konnte gar nicht so schnell reagieren, wurde ich hoch gehoben und in eine Box gesetzt. Panik, nun war kein Ausweichen, keine Flucht mehr möglich. Resigniert und zitternd ergab ich mich in mein Schicksal und verbrachte viele Stunden in einem brummenden Gefährt. Was kommt jetzt?
Plötzlich war es still, das Fahrzeug stand. Die Türen gingen auf, einige meiner Kumpels wurden aus den Boxen geholt, so auch ich. Vor Angst erstarrt stand ich da, ich ließ mich streicheln, ließ einfach alles über mich ergehen und nahm gar nicht wahr, was alles um mich geschah. Eine sanfte Stimme drang zu mir durch und eine Hand streichelte zart über meinen Körper. Diese zarte Stimme begleitete mich in das nächste Fahrzeug und wieder war ich unterwegs. Aber irgendwie war es nun nicht mehr so bedrohlich und plötzlich hieß es, Onanga, wir sind zuhause (was immer das auch bedeuten sollte). In diesem Zuhause war alles fremd. Da war ein anderer Hund, der nichts von mir wissen wollte, da war noch ein Mensch, der auch sehr freundlich war, da standen viele Dinge, die sich Möbel nannten und ich versteckte mich blitzschnell.
Und von diesem Versteck aus beobachtete ich und versuchte mir einen Überblick zu verschaffen. Die erste Nacht in meinem Zuhause schlief ich in einer Box, tief und fest, die ganzen Aufregungen hatten mich geschafft. Beinahe hätte ich es vergessen, ich hatte nicht nur ein Zuhause, ich hatte auch einen neuen Namen, ROMY.”Meine” beiden Menschen waren ruhig und freundlich und eigentlich hätte ich allen Grund gehabt, ihnen zu vertrauen, wenn das doch nur nicht so schwer gewesen wäre. Ich wurde auf den Arm genommen und in den Garten getragen und es dauerte nicht lange, da ging ich von alleine raus und dann war da ein toller Busch unter dem ich mich verstecken konnte – niemand konnte mich sehen, aber ich sah alles. Dann saßen meine Menschen immer wieder an einem Tisch, die futterten nicht aus einem Napf, die taten das an diesem Tisch und da legte ich mich schnell dazu und kuschelte auf die Füße meines Herrchens. Frauchen meinte dann, ich wäre ein “Männerhund”.
Schnell fühlte ich mich in meinem Zuhause rundum wohl und geborgen, zusammen mit meinen beiden Menschen war und ist meine Welt in Ordnung. Ich musste aber lernen, dass mein neues Leben nicht nur aus meinem Haus und meinem Garten bestand und so lernte ich Geschirr und Leine kennen und dass es “da draußen” noch vieles zu entdecken gibt. Gassi gehen nennen das meine Zweibeiner, wenn wir zusammen meine sichere Burg verließen. Ich hätte erst mal da drauf verzichten können, aber da musste ich wohl durch. Schnell fand ich an diesem Gassi gehen Gefallen und es gefiel mir, durch den Wald zu streifen und mit anderen Hunden zu spielen und zu toben. Fremde Zweibeiner musste ich nicht haben und wenn sie dann noch auf so komischen “Drahtgestellen” unterwegs waren, schon gar nicht. Bei diesen Begegnungen, schwupp, bin ich weg und verstecke mich erst einmal. Kaum ist die Luft wieder rein, bin ich wieder da. Frauchen und Herrchen habe ich im Blick und eigentlich weiß ich, dass ich mich auf sie verlassen kann, dass sie alles tun würden um mich zu beschützen, aber im entscheidenden Moment vergesse ich es wieder und dann ist einfach die Zeit in mir drin, wo ich auf mich alleine gestellt war, wo mich niemand beschützte.
Was hatte ich Spaß, als wir am Meer waren und ich über den endlosen Strand toben konnte. Wir 4, Frauchen, Herrchen, meine Hundekumpeline Naalya und ich, wir ganz alleine, wie schön ist das Leben. In diesen Momenten vergesse ich, dass die Angst ganz tief in mir drinnen sitzt, die Angst vor Neuem, Ungewohntem, die furchtbare Angst vor fremden Menschen und Situationen, die ich nicht einschätzen kann. Dann laufe ich einfach immer wieder davon und verstehe selbst nicht, warum ich meinen beiden Menschen nicht vertrauen kann, wo sie mir doch täglich beweisen, dass ich das sehr wohl tun könnte. Dann habe ich plötzlich wieder Panik in Situationen, die ich sehr wohl kenne und mein Frauchen versteht die Welt nicht mehr, warum immer wieder diese Rückschläge kommen. Mama Ingrid, ich verstehe es selbst nicht, glaube mir.
Ich bin ein rumänischer Straßenhund, der in seinen ersten Lebenswochen Schlimmes erlebt hat, Erfahrungen gemacht hat, die mich vielleicht mein ganzes Leben nicht los lassen. Dass das so war, dafür konnte ich nichts, es geht vielen meiner Hundekumpels aus den Straßen Rumäniens so. Ich habe das große Glück, dass ich zwei Menschen habe, die mir eine Chance gegeben haben. Die sich darauf eingelassen haben, mir ein Zuhause zu geben und die mit viel Liebe und noch mehr Geduld alles dran setzen, mir zu zeigen, wie schön und unbeschwert das Leben für einen Hund sein kann. Ich habe zwei Menschen gefunden, die mich so nehmen wie ich bin, die sich mit mir über jeden kleinen Fortschritt freuen, die Rückschläge hin nehmen und mich wieder aufbauen, die ihr Leben auf meine Möglichkeiten einstellen und auch ohne lange nachzudenken, Familienfeiern absagen, weil ich einfach noch nicht so weit bin, dass ich da mit kann. Ingrid und Friedel, ich weiß, durch mich Angsthasen ist euer Leben nicht einfacher geworden, im Gegenteil. Ich bin glücklich bei und mit euch, auch wenn mich die Vergangenheit immer mal wieder einholt. Ich wünsche mir so, dass ich euch ganz vertrauen kann, dass ich mir immer mehr verinnerliche, dass mir an eurer Seite nicht passieren kann, egal wie viele Menschen uns begegnen oder wie fremd die Situation für mich auch ist. Ich werde da sicher noch viel Zeit brauchen, aber ich weiß, ich werde es schaffen. Ich habe euch zwei ganz doll lieb und bin so dankbar, dass ihr meine Menschen seid.Einen ganz dankbaren und feuchten Hundeschlabber von eurer Romy