Helena, das Mädel von der Müllkippe
Hallo, ich bin die Helena und gerufen werde ich Lena.
Ich bin nicht mehr die Jüngste und habe bereits geschätzte 9-10 Jahre auf dem Buckel, und die Erinnerungen an die ersten 6-7 Jahre sind nicht sehr schön.
Ich wurde in einem Land geboren, wo Hunde keinen sehr hohen Stellenwert haben. Ich gehörte noch zu den Glücklicheren meiner Spezies, ich wurde nicht nur einfach geboren, irgendwann, irgendwo, ich wurde sehr wahrscheinlich sogar gezüchtet, ich bin eine reinrassige Schäferhündin.
Ob das nun ein Glück ist, sei dahin gestellt und an meine arme Mutter habe ich keine Erinnerung. Ob ich nun ein Wachhund war bzw. einer sein sollte, weiß ich nicht, auf jeden Fall verbrachte ich die erste 6-7 Jahre meines Lebens entweder eingesperrt oder an einer Kette – Zuwendung, liebe Worte, Freiheit kannte ich nicht. Da ich das nicht kannte, vermisste ich es auch nicht und war froh, wenn es in unregelmäßigen Abständen was Fressbares gab und wenn man nicht vergaß, dass auch ich Durst hatte.
Ich war schon dankbar, wenn “meine Zweibeiner” mich in Ruhe ließen und es nicht noch Fußtritte setzte. Je nach Stimmung machte ich mich ganz klein, flüchten konnte ich leider nicht und hoffte, dass mich niemand bemerkte. So vegetierte ich in meinen besten Jahren einfach vor mich hin, kannte nur Langeweile, Eintönigkeit und Vorsicht vor den Zweibeinern und mit der Zeit fiel es mir immer schwerer aufzustehen, denn meine Hüfte machte mir mehr und mehr zu schaffen.
Das fiel offensichtlich auch meinen Menschen auf und eines Tages legte man mir einen Strick um den Hals und zerrte mich Richtung Auto. “Langsam, es tut doch so weh, ich kann nicht so schnell” – meine stummen Schreie blieben ungehört, niemand nahm Rücksicht auf mich. Ich hatte solche Angst. Was kam jetzt auf mich zu?”
Nach einer Fahrt über holprige Straßen, jedes Schlagloch verursacht höllische Schmerzen, war wohl das Ziel erreicht. Das erste was ich wahr nahm, war ein sehr unangenehmer Geruch. Genauso roh, wie ich in dieses Auto verfrachtet wurde, zerrte man mich auch wieder raus und dann ging alles ganz schnell. An meinem kurzen Strick wurde ich festgebunden, meine Menschen stiegen ins Auto und fuhren davon und ich war allein.
Dieses Verlassenwerden war noch schlimmer als mein liebloses Zuhause. Ich blickte mich um, ich war auf einer Müllkippe. Um mich herum stinkender Müll, frei laufende Hunde, die hofften irgendwo Futter zu finden und mich anknurrten. Der kurze Strick ließ mir keinerlei Spielraum.
Plötzlich freundliche Worte, die konnten doch nicht mir gelten? Ein Mann kam langsam auf mich zu, sprach weiter ruhig auf mich ein und band mich los. Das waren die ersten lieben Worte, die ich von einem Menschen hörte und sie galten tatsächlich mir. Der Mann führte mich langsam zu seinem Auto. Ich konnte kaum gehen, denn durch die vielen Jahre ohne Bewegung hatte ich keinerlei Muskeln und dazu tat meine Hüfte furchtbar weh. Der Mann, später hörte ich, dass er Marius gerufen wurde, half mir in sein Auto und wieder eine Fahrt ins Ungewisse. Aber dieses Mal hatte ich nicht so viel Angst, schließlich war da diese freundliche Stimme…
Nach kurzer Fahrt meine nächste Station und wieder eine vertrauenswürdige Stimme. “Wen bringst Du hier mit? Komm altes Mädchen, Du kannst ja kaum gehen.” Er sagte noch was von HD. Dieser Mann hieß Michael und um ihn herum war ein Gewusel von vielen Hunden und ich bekam es schon wieder mit der Angst zu tun. Aber sie alle schienen keine Angst zu haben und sprangen unbeschwert um diesen Michael herum. Es war zwar sehr laut, weil überall Artgenossen bellten, aber ich spürte, hier passiert mir nichts, hier gab es keine Fußtritte, im Gegenteil, es gab eine gefüllte Futterschüssel und frisches Wasser.
War hier das Paradies?
So dankbar ich war, bei Michael sein zu dürfen, so anstrengend waren die Tage mit den vielen Welpen, die um mich herum tobten und mit hoher Stimme kläfften. Eines Tages war es wieder so weit. “Komm Helena”, sagte Michael, “Du fährst jetzt nach Deutschland, für Dich wird alles gut”. Ich wusste nicht was Deutschland war, aber inzwischen hatte ich so viel Vertrauen zu Michael, dass ich wusste, von ihm hatte ich nichts Böses zu erwarten.
Viele lange Stunden im Auto, meine Hüfte tat weh und endlich gingen die Türen auf. Es war dunkel und wieder freundliche Stimmen, Streicheleinheiten, Futter, Wasser und eine Petra säuselte was von “feines Mädchen” in meine Ohren. Hier waren nicht so viele Hunde, wie bei Michael, diese Petra gefiel mir auch gut, also hier sollte ich nun bleiben?
Leider ging die Reise weiter und nach weiteren Stunden, wieder fremde Menschen und wieder waren alle sehr freundlich zu mir. Wenn es so viele netten Menschen gibt, wo waren die alle in den ersten Jahren meines Lebens? Warum hatte ich die nicht viel früher gefunden?
Ich hörte was von “Pflegestelle”, was das bedeutete, wusste ich nicht, aber “mein neuer Mensch” führte mich in eine Wohnung, wo noch zwei weitere Hunde waren, die mich freundlich beschnüffelten, zwei kleine Menschen, die mich nett begrüßten und noch ein Mensch, eine Frau, die wohl auch dazu gehörte.
Es gab ausreichend Futter, wir Vierbeiner konnten in einen Garten, ich lernte, was Gassi gehen bedeutete und ich dachte mir, so kann es bleiben.
Ob das nun das Paradies ist?
Aber immer wieder hörte ich “nur zur Pflege”. Es kamen immer wieder neue Menschen in diese Wohnung und oft ging es sehr laut zu. Aber immer wurde ich gestreichelt und besonders ein Mensch kam immer wieder und plötzlich hieß es, ich sei “vermittelt”. Oje, was bedeutete nun das schon wieder. Aber schnell wurde es klar.
Dieser Besucher-Mensch nahm mich mit und erzählte mir, ich hätte nun ein Zuhause, ich würde zu ihm gehören. Hier waren nun keine anderen Hunde mehr, ich war alleine mit meinem Menschen, er war sehr nett zu mir und ich war glücklich. Meine Hüfte schmerzte immer mehr, ich konnte nur noch sehr schwer die Treppen zu unserem Zuhause bewältigen. Mein Fell juckte.
Merkte das mein Herrchen denn nicht? Er regte sich über die fliegenden Haare auf, aber das war doch keine Absicht von mir, warum bürstete er sie nicht einfach raus? Ich blieb immer mehr Stunden alleine in der Wohnung. Nur noch eine kurze Runde draußen, dann war für den ganzen Tag Einsamkeit angesagt, bis abends irgendwann Herrchen wieder kam.
Dann hörte ich, wie er telefonierte und sagte, dass er den Hund abgeben muss. Sprach er von mir? Warum wollte er mich nicht mehr haben? Ich habe doch nie Schwierigkeiten gemacht, war immer leise, wenn ich alleine war, kann nichts dafür, dass ich so Haare verliere und dass ich kaum noch die Treppe hoch komme. Bitte Herrchen, gib mich nicht wieder ab! Was wird nur aus mir?
Immer wieder Telefonate und eines Tages war es so weit. Herrchen packte Decke, Futternäpfe und Spielsachen ein und dabei liefen ihm die Tränen übers Gesicht. “Du musst doch nicht weinen, ich bleibe doch bei Dir. Ich will doch nicht gehen!” Eine junge Frau kam, sprach mit Herrchen und mit mir und streichelte mich und nahm mich mit. Ich war wieder einmal unterwegs und ich war traurig und hatte Angst.
Wieder war es dunkel und wieder fremde Stimmen. Alle waren freundlich, aber mir war schon alles egal. Eine nette, aber sehr resolute Stimme meinte: “Nein, der Hund geht die vielen Treppen hier nicht hoch, die Arme hat mit Sicherheit Schmerzen, die kommt gleich zu uns ins Auto. Das mit dem Vertrag können wir auch hier machen. Wir fahren sofort mit ihr zurück!”
Ich saß auf dem Rücksitz und die Dame mit dieser netten Stimme setzte sich neben mich und nahm mich einfach in den Arm. “So mein Mädchen, Du kommst nun endgültig nach Hause. Auf Dich warten schon Dino, Mona und die drei Katzen und Du wirst nun nie mehr alleine sein.” Ich wusste nicht, wer Mona und Dino waren, ich schmiegte mich einfach nur an sie und sie roch so gut, sie roch nach Geborgenheit und Vertrauen.
Und dann endete die Fahrt, untermauert von den Worten: “So mein Mäuschen, wir sind Zuhause.” Stürmisch begrüßt von Dino und Mona, die sich als Schäferhundmischlinge entpuppten, aber sofort zurecht gewiesen wurden, vorsichtig zu sein. Kritisch betrachtet von drei älteren Katzendamen, denen ich aber sofort schwänzelnd signalisierte, “Hi, ich bin`s, die Helena, Artgenossen von Eurer Spezies kenne ich”.
Mein Frauchen führte mich durch mein neues Zuhause, ich glaubte zu träumen. Und dann kam der Garten dran. Jetzt wusste ich, wie es im Paradies aussieht, denn jetzt war ich mittendrin. Dino begleitete uns und ich schielte immer zu ihm rüber und er zu mir… Wie war das mit Schmetterlingen im Bauch??? Ein Nasenstüber von Dino, “He Du, ich finde Dich klasse!” Und schon bekam ich erste Küsschen und das in meinem Alter!
Der erste Abend – irgendwann waren wir alle müde und Frauchen zeigte mir mein Körbchen. Alle anderen gingen die Treppe hoch. “Nein, lasst mich nicht allein, ich gehöre doch jetzt auch zu Euch, ich will mit, ich will nicht alleine schlafen!”
Ein Blick auf die Treppe und dann nahm ich alle Kraft zusammen und folgte MEINER Familie. Die konnten es nicht fassen, als ich oben ankam, ein kurzes Schwänzeln, da bin ich, ein Rundgang durch die Räume. Dino lag auf einer eigenen Couch. “Komm, rücke etwas zur Seite, da habe ich auch noch Platz”, ein letzter Seufzer und ich schlief an Dino gekuschelt ein.
Mein neues Leben hatte begonnen – Streicheleinheiten ohne Ende, Couch kuscheln mit Frauchen, ich werde überall mitgenommen, Fellpflege, ich liebe die Bürste und grunze dabei voll Wonne vor mich hin und so ganz nebenbei, mein Fell juckt nicht mehr und ich haare kaum noch, verfilzte Stellen gehören der Vergangenheit an. Mona beäugt mich noch etwas skeptisch, sie hat mir noch nicht ganz verziehen, dass ich ihr den Mann ausgespannt habe. Dabei konnte ich nichts dafür, es war Liebe auf den ersten Blick.
Mit meinen neuen Hundekumpels spiele ich im Garten, zwischendurch Pause, wenn ich wieder Puste habe, geht es weiter. Dino, mein Power-Mann, lässt sich immer von mir fangen, aber ich weiß, dass er extra langsam macht…, das ist Liebe!
Dank der Tatsache, dass ich mich nun immer bewegen kann, wie ich will, bilden sich bereits erste Muskeln und täglich habe ich mehr Ausdauer. Und zum ersten Mal in meinem Leben mache ich Urlaub an der Ostsee – träume ich vielleicht doch?
Einen Tierarztbesuch habe ich auch schon hinter mir, das war natürlich nicht so angenehm. Aber mit Frauchen, die sich mit mir auf den Untersuchungstisch setzte und einfach in ihren Armen hielt, habe ich das geschafft. Schwere HD hätte ich und nun gibt es Medikamente und ein spezielles Futter für mich. Nun habe ich kaum noch Schmerzen, ein herrliches Gefühl, wenn man nicht mehr vor jeder Bewegung Angst haben muss!
Warum musste ich erst 9 Jahre alt werden um dieses Glück kennen zu lernen? Egal, nun ist es da und ich hoffe, dass ich es noch einige Jahre fest halten kann. Drückt mir die Daumen!
Ein herzliches “Wuff” von Eurer glücklichen Lena, der Helena von der Müllkippe