Ich hatte doch solche Angst...
Hallo Ihr Lieben, ich bin´s, der Brandy. Eigentlich hätte für mich alles so einfach sein können, aber es war so schwer, den Menschen Vertrauen entgegen zu bringen. Wie sollte ich nur wissen, dass nicht alle so sind, wie diejenigen, die ich in meinen ersten Lebenswochen kennen und fürchten gelernt habe.
Was Geborgenheit ist, haben meine Schwestern und ich nie erfahren. Unsere Mama hatte Angst, wenn irgendwo Menschen auftauchten und für uns war klar, dass wir dann auch Angst haben mussten. Wir mieden alle menschlichen Kontakte, doch eines Tages packten uns grobe Hände und wir dachten, nun hätte unser letztes Stündchen geschlagen.
Wir landeten in einer Box, zitterten am ganzen Körper und dann näherte sich schon wieder ein Mensch. Seine Stimme war ganz anders als das, was wir bisher gehört hatten. Sie klang eigentlich nicht so, dass man sich hätte fürchten müssen, aber es war eben doch ein Mensch und Menschen geht man am besten aus dem Weg.
Wir wurden aus der Box geholt, nein, diese Hände packten uns nicht im Genick, sie umfassten uns vorsichtig und streichelten uns. “Ihr braucht keine Angst mehr zu haben, es wird doch alles gut”, sagte die Stimme leise. Aber weder meine Schwestern noch ich konnten und wollten daran glauben. Und dann hatten wir zum 1. Mal in unserem Leben einen gefüllten Futternapf und zum 1. Mal waren wir satt, richtig satt. Und ich hatte noch etwas zum 1. Mal in meinem Leben, einen Namen – ich hieß Zucchero.
Hier waren viele Spielkameraden und alles war schön, so lange keine Menschen auftauchten. Wir trauten dem Frieden einfach nicht, auch wenn sie noch so freundlich waren. Meine Schwestern verschwanden, sie wurden mit dem Auto weg gefahren, eine nach der anderen. Michael sagte, sie hätten nun ein Zuhause. Ich zog mich immer mehr zurück.
Eines Tages, als wieder diese gewisse Unruhe war, immer wieder einzelne Hundekumpels weg getragen wurden, dann aber wieder zu uns zurück kamen, Boxen in der Gegend herum standen, traf es auch mich. Michael nahm mich einfach auf den Arm und noch ehe ich begriffen hatte, was los war, saß ich bereits in einer der Boxen und kurz danach im Auto und eine endlose Fahrt begann. Es war der 30. November 2007.
Nach vielen, vielen Stunden, ich dachte schon, ich käme aus dieser engen Box überhaupt nicht mehr raus, gingen endlich die Türen auf – frische Luft! Was war das? Eine ganz fremde Stimme und Michael und dieser Fremdling sprachen von mir. Dass ich mich sehr zurück gezogen hätte und es nicht einfach werden würde, sagte Michael. Doch die fremde Stimme klang ganz zuversichtlich, “das kriegen wir hin” und dann, “komm, mein kleiner Schatz” und schon saß ich in einem anderen Auto bei einem großen fremden Hund, der mich gleich anbrummelte nach dem Motto, komme mir bloß nicht zu nahe.
Diese Fahrt dauerte nicht so lange und endlich durfte ich mich frei bewegen, hatte wieder Gras unter meinen Pfoten und schlich mit eingezogenem Schwanz durch einen Garten und suchte nach einer Fluchtmöglichkeit. Es gab keine. “Komm rein, Du hast doch Hunger. Komm, leckeres Essen”. Klar, hatte ich Hunger, aber so freundlich diese Stimme auch war, auch noch durch diese Tür gehen, in diesen Raum – das war zu viel. Gut, kurz um die Ecke schauen, das war in Ordnung und es roch so verführerisch da drinnen. Da es auch Möglichkeiten zum Verstecken gab, huschte ich doch rein. Hmmmhh, das schmeckte, dann aber nichts wie weg in einen sicheren Unterschlupf, wo ich einen guten Überblick hatte, aber selbst kaum gesehen werden konnte.
Das große, wuschelige Tier lag bei diesem neuen Menschen, der immer wieder mit hoher Stimme in meine Richtung flötete auf einer erhöhten, dunklen Fläche, Couch nannte sich dieses Teil und grunzte vor sich hin. Es schien ihm zu gefallen, was dieser Mensch mit ihm machte. Aber nein, nicht mit mir.
So vergingen einige Tage und ich stellte schnell fest, ich hatte alles, wurde satt, die Stimme war noch genauso freundlich, aber man ließ mich in Ruhe und Zucchero war ich auch nicht mehr, sondern Brandy. Langsam interessierte ich mich doch für alles, was so um mich vorging. Folgte meinem neuen “Herrchen”, der von allen möglichen Leuten “Micha” genannt wurde, mit Abstand überall hin und verkroch mich aber ganz schnell, wenn andere Menschen in unser Reich kamen, die konnten an mich hin reden, was sie wollten, ICH wollte nicht. Das höchste der Gefühle war, dass ich Würstchen aus einer Hand nahm, aber streicheln, nein, muss ich nicht haben.
Der nächste Schock, dieser Micha legte mir etwas um den Hals, das ich nicht entfernen konnte. Erinnerungen wurden wach…….. Das steigerte sich noch, als ein Seil dran hing. Ich wurde stocksteif und ging keinen Schritt mehr weiter. Lief ich vorher einfach so mit, hatte ich nun immer dieses kurze Seil an mir hängen, was hasste ich das. Ich sprang doch schon fast von alleine ins Auto, wozu noch dieses Seil? Gut, ein Kompromiss, das Seil ist OK, aber Du hältst es nicht fest. Ich gehe dann keinen Schritt mehr von der Stelle. Dass ich Dich damit fast zur Verzweiflung brachte, war mir nicht bewusst.
Und dann hast Du jemandem am Telefon erzählt, dass ich heute zum 1. Mal richtig spielen würde, mit einer Spielzeugmaus. Spielzeugmaus? Du meintest offensichtlich dieses kleine Teil, das man so herrlich in die Luft werfen konnte…, jipieeee hoch damit, Dich fang ich schon. Das war am 18. Dezember 2007!
Immer wieder hörte ich, wie Du Dich mit jemandem über mich unterhalten hast, dass es darum ging, dass ich für immer bleiben darf.
Der andere Mensch hatte so für mich gesprochen, es war eine SIE, inzwischen durfte sie mich auch streicheln und ich wusste genau, wenn sie kam, dann gab es Würstchen und sie brachte auch Hundemädchen mit, besonders die hübsche Milka, die hatte es mir angetan.
Aber Du wolltest mich nicht behalten, warum nur? Merktest Du nicht, wie lieb ich Dich habe? Dass ich einfach nur Angst hatte und dass ich noch mehr Angst gehabt hätte, wenn ich wieder fort gemusst hätte? Du wusstest doch überhaupt nicht, warum ich diese Angst hatte. Du musstest noch nie so eine Angst haben. Du hörtest doch, Milka wäre auch wie verwandelt gewesen als sicher war, sie musste nicht mehr fort. Dass zwei Hunde zu viel für Dich sind, zu kostspielig, hast Du gesagt und dass ich eine große Belastung wäre, weil ich die Leine nicht akzeptieren würde. Mensch Micha, das schaffe ich doch auch noch, ich habe doch schon so viel gelernt, ich traue mich einfach noch nicht. Bitte lass mich bleiben!
Von “Anfragen” war die Rede, von Menschen, die mich haben wollten. Wieder Dein Griff ans Telefon, “ruf Du an, ich kann es nicht,” sagtest Du. “Klar, mach ich”, klang fröhlich die mir inzwischen vertraute Stimme und irgendwie hatte ich das Gefühl, auf die konnte ich mich verlassen, die regelte das mit dieser Anfrage…
Und endlich, warum hast Du nur so lange gebraucht, endlich hattest Du begriffen, dass ich zu Dir gehöre, ob mit oder ohne Leine und Deinen Satz, natürlich wieder einmal am Telefon, “schreib die vermittelt-Mail”, war wie Musik in meinen Ohren. Am anderen Ende der Leitung ertönte ganz cool, “endlich, war langsam auch Zeit”. Wie Recht sie doch hatte. Zwei Tage später, es war der 12. Februar, hatte ich keine Angst mehr an der Leine zu laufen, wusste ich doch, nun kann mir nichts mehr passieren. Leine ist cool, Gassi gehen ist ober-cool, hatte ich wirklich mal Angst vor der Leine?
So lange ist das alles noch gar nicht her, doch die Zeit, wo ich verängstigt war, mich nichts getraut und mich versteckt habe, die ist längst vergessen. Inzwischen bin ich ein selbstbewusster junger Mann geworden, fast zu selbstbewusst, behauptet mein Micha manchmal. Sein “Welpenpapa” bin ich, sagt er.
Stimmt, die Kleinen sind auch zu süß. Und ich muss denen doch auch klar machen, dass sie keine Angst haben müssen, damit sie nicht auch so lange brauchen, bis sie es vielleicht selbst bemerken, so wie ich. Mit meinem “Big Brother”, Joli verteidige ich bellend unser Revier, soll sich jemand unterstehen und zu nahe kommen. Nein, natürlich nerven wir mit unserem Gebell nicht…, zumindest nur ein bisschen, gelle Micha! Noch was, Angst? Was ist das…???
Es ist schön zu wissen, wo man hin gehört. Zu wissen und zu spüren, hier ist jemand, der hält zu Dir, egal, was kommt. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, keine Angst mehr haben zu müssen. Das Leben ist schön!
Danke, Micha!
Dein Brandy